Lilu-Spatzen: Zirkus-Aufführung am 20. November 2004

geschrieben von Ulrich Plapp


K r o k o      T a r r a p

Von wegen nur Fun, Pisa-Studie und desinteressierte Kinder, so wie man es allenthalben liest, hört und gelegentlich auch durchaus beobachtet. Es sind eben keineswegs alle so. Eindrücklich wurde man vergangenen Samstagabend eines Besseren belehrt, nämlich beim Konzert des Gesangsvereins Liederlust in Stuttgart-Mühlhausen. Wohlgemerkt, einer von vielen Vereinen in einer von ebenso vielen Randbezirken einer Großstadt, wahrgenommen in der Hauptsache sicherlich nur von seinem Stammpublikum, einem wahrscheinlich sehr überschaubaren Kreis derer, die üblicherweise zu seinen Aufführungen gehen. Der Verfasser dieser Zeilen, geworben von einer Sängerin dieses Vereins, geriet mehr oder weniger durch Zufall in dieses Konzert.

"Mensche, Tiere, Sensationen" hieß der erste Teil. Leicht übertrieben, dachte man angesichts des einschlägigen Angebots dieser Art von Unterhaltung in unserer Medienlandschaft.

Was dann aber die "Lilu-Spatzen", - so heißt dieser Nachwuchs-Chor des Vereins -, diese Gruppe Acht- bis Zwölfjähriger, zehn Mädchen und zwei(!) Jungs, auf die Bühne brachten, war dann doch unerwartet, zum Schluss gar mitreißend!

"Kroko Tarrap", von Uli Führe und Jörg Ehni, ein rundes Dutzend Songs, von Swing über Country Western bis zum Rock, unterstrichen durch Pantomime, Akrobatik und Tanz. Anfangs noch, wen wundert`s, etwas gehemmt, dann immer freier und lockerer übertrug sich das für alle ersichtliche Vergnügen der Kinder auf die Zuhörer, die mehr und mehr mitgerissen wurden und ihre Begeisterung durch viel Beifall und rhythmisches Klatschen lautstark bekundeten. Kleine Patzer in der Kommunikation mit dem begleitenden Piano nebst Schlagzeug fielen nicht auf und gingen in den Funken unter, die zwischen Bühne und Publikum übersprangen.

Um nur einige Beispiele zu nennen: man hörte und sah das Zirkuskrokodil Tarrap, zwar aus Pappe, doch mit furchterregendem Gebiss, man sang vom jungen Elefanten "Jumba la-ja", dessen Rüssel zwar etwas kurz geraten, doch immer noch beeindruckend erschien, man hörte das Lied vom Clown Jonny, während dieser sich auf der Bühne präsentierte, man schlug Rad, machte vollendete Purzelbäume, blies Trompete, schlug die Trommel und tanzte, was das Zeug hielt. Dann aber kam die "Rockmaus", befreit gesungen und choreographisch perfekt dargestellt. Der Rhythmus erfasste das Publikum, die Augen der Kinder blitzten, alle Hemmschwellen waren überwunden und man hatte eigentlich den Wunsch, es möge noch eine Stunde so weitergehen. Die Kinder, so schien es, hätten dies locker geschafft. Immerhin rockte die Maus dann nochmals als Zugabe, nachdem das Publikum eine solche mit Nachdruck durch rauschenden Beifall (keineswegs übertrieben) gefordert hat.

Ein großes Kompliment an Gudrun Matheis, die den jungen Interpretinnen und Interpreten den Mut und die Lockerheit vermittelt hat, sich so einfach auf die Bühne zu stellen und sich einem erwachsenen(!) Publikum in einer solch überzeugenden Weise stimmlich, choreographisch und pantomimisch zu präsentieren. Uns Erwachsenen wäre zu wünschen, in ähnlichen Situationen ebenso locker sein zu können.

"Verträumte Glut", so war der zweite Teil des Konzerts überschrieben, gestaltet vom Stammchor des Vereins unter der Leitung von Stefan Weible sowie Sybille Henn als Solistin. Ein wenig hart schien er, dieser Schnitt zwischen Zirkusatmosphäre und Romantik, wenn auch eine Pause dazwischen lag. Doch schon nach dem ersten der romantischen Lieder von Brahms empfand man die so ganz andere Stimmung dieser Musikgattung, einfühlsam interpretiert von einem Chor, bestehend aus lauter Laien und (leider!) viel zu wenigen Sängerinnen und Sängern. Aber Romantik bedingt keine große Anzahl, sie bedingt Hingabe an die Musik und Sensibilität für den Text.

Beides war zu spüren, nicht nur bei Brahms, gefühlvoll begleitet von der Sopranistin, sondern auch bei "Diraiton", der Rilke-Vertonung von Lauridsen. Selten gehört, sicherlich schwierig zu singen, aber perfekt interpretiert und akzentuiert in Rhythmus und Takt. Die Sätze der "King Singers" konnten lockerer angehoben werden und sie wurden auch durchaus angemessen gestaltet. Der Moment jedoch, bei dem der Verfasser eine Gänsehaut bekam, war jener, als "MLK" - dies steht für Martin Luther King - angestimmt wurde. Ein wunderbar getragenes Stück, sehr ans Gemüt gehend, schlicht in seiner Ausformung und doch tief berührend. Ein kurzes Stück, nicht schwer zu singen, aber welche Kraft wohnt ihm inne!! Es ist etwas für die Bässe, ganz zweifellos exemplarisch dafür, dass Musik nicht kompliziert sein muss, um die Zuhörer zu fesseln! Auch die "Königskinder" gehören sicherlich hierzu.

Ein Wermutstropfen nur, dass den eigens aus Hannover angereisten und leider zu spät gekommenen Gästen nicht wenigstens eine Zugabe gegönnt wurde.

Alles in allem ein gelungener Abend, wohlgemerkt und noch einmal erwähnt, gestaltet "nur" von einem Vorstadtverein in einem Randbezirk einer Großstadt!

U. P.